Sanela Kolb (DTHG Service GmbH) im Interview mit Klaus Huber, Geschäftsführer von Ventum-S aus Dresden
Ventum-S ist mir durch ein Produkt auf der diesjährigen Bühnentechnischen Tagung in Ulm aufgefallen. Wie war die Zeit für Sie auf der BTT?
Ich fand, die BTT in Ulm war gelungen. Es passte einfach alles, die Organisation, die Location, die Stadt und natürlich haben wir uns sehr gefreut, viele zum ersten Mal seit Corona wieder mal von Angesicht zu sehen.
Das Mecanum-System scheint relativ neu zu sein. Können Sie uns etwas zur Entstehung Ihres Bühnenwagens sagen?
Das Mecanumprinzip ist schon recht lange bekannt. Tatsächlich wurde das Mecanumrad 1972 in Schweden erfunden und zum Patent angemeldet. Aufgrund der offensichtlichen Vorteile dieser Antriebsart (omnidirektionales Fahren) wurde das Patent direkt von der US-Navy aufgekauft und war somit für die freie Wirtschaft nicht mehr verfügbar. Dieses Patent lief 1997 aus und das Mecanumprinzip fand Eingang in industrielle Anwendungen (Gabelstapler etc.).
Auch die VENTUM-S Bühnenwagen haben ihren Ursprung in der Industrie, wo diese Wagen in ganz ähnlicher Form im 24/7 Betrieb eingesetzt werden. Wir haben diese Industrieausführung um wichtige bühnenspezifische Funktionen ergänzt und somit ein Produkt geschaffen, welches sich in den letzten Jahren zum neuen Standard für Fahrbewegungen auf der Bühne entwickelt hat.
Das Aufsetzen auf einen im harten Dauereinsatz bewährten Industriestandard hat für uns den Charme, dass wir hiermit ein sehr ausgereiftes und zuverlässiges Produkt für die Bühne anbieten können.
Wie kann ich mir den Einsatz des Mecanum Bühnenwagen auf der Bühne im Theater vorstellen.
Haben Sie ein Anwendungsbeispiel oder sogar ein Projekt kürzlich realisiert?
Die Einsatzbereiche auf der Bühne sind vielfältig. Vom Verfahren eines einzelnen Tisches oder Bettes bis zur Erstellung von Fahrflächen mit einer Größe von bis zu 16×6 m oder frei verfahrbaren Drehscheiben ist alles möglich.
Die Technik des Mecanum Bühnenwagens ist in eine 1×1 m-System-Zarge des VENTUM-S Bühnenbaukastensystems eingebaut. Dies hat den Vorteil, dass größere Konstruktionen einfach aus Standardmaterial erstellt werden können.
Schöne Anwendungen gab es z. B. im Friedrichstadtpalst Berlin, wo mit 4 Mecanummodulen eine 12 m lange Stahlbrücke verfahren wird, in der Pariser Oper wo eine ebenfalls 12 m lange, 3 m breite und 5 m hohe Bühnendekoration mit 6 Mecanummodulen bewegt wurde und im Kremeltheater in Moskau wo wir den bereits erwähnten 16×6 m großen Fahrwagen mit 8 Mecanummodulen erstellt haben.
Ansonsten werden die Mecanummodule auf der Bühne immer wieder in neuen Konstellationen eingesetzt. Wir sind manches Mal erstaunt über den Einfallsreichtum und die Kreativität der Anwender im Umgang mit unseren Mecanums.
Wichtig ist hierbei, dass alle neuen Konstruktionen vom Anwender auf einfache Weise und ganz schnell selber kreiert werden können. Der Nutzer benötigt hierzu keinen Support von VENTUM-S,
dies war uns bei der Entwicklung besonders wichtig. Wir wollten kein filigranes Spezialprodukt, sondern ein universelles Werkzeug, sozusagen das Schweizer Messer für Fahrbewegungen auf der Bühne.
Tragfähigkeiten von 1 Tonne pro Bühnenwagen sind im ersten Augenblick viel, aber im Theater und im Kulissenbau wenig. Kein neues Thema. Können die Bühnenwagen verbunden werden und wie werden diese gesteuert?
Die Tragfähigkeit von 1 t ist das Gewicht, welches direkt auf ein Mecanum Antriebs Modul 1×1 m aufgelastet werden kann. Schieben oder ziehen kann ein Modul immer bis zu 1,5 t. Für sich genommen eigentlich ein beeindruckender Wert. Die Erfahrung zeigt aber, dass auch dieses auf der Bühne schnell mal zu knapp wird. Abhilfe kann durch die Kombination von bis zu 8 Modulen in einer Konstruktion geschaffen werden. Das bedeutet, Lasten von bis zu 12 t können sicher und einfach auf der Bühne verfahren werden. Wie groß eine solche Konstruktion dann letztendlich wird, ist zweitrangig. Ausschlaggebend ist das Gesamtgewicht.
Gesteuert wird das Ganze mit einer Funkfernbedienung, die eine Reichweite von ca. 200 m hat. Die Steuerung ist einfach, intuitiv und von jedem Anwender innerhalb weniger Minuten erlernbar.
Bei einer Inszenierung im Theater sind auf der Bühne neben dem Holzboden auch andere Untergründe vorhanden, wie Tanzteppich oder sogar Wollteppich, in Abhängigkeit der Kulissen. Ist es eine Herausforderung für die integrierten Rollen im Bühnenwagen?
Diese Thematik hat uns zu Beginn tatsächlich Sorgen gemacht. Wie würde der Bühnenwagen auf diese Anforderungen reagieren? In der Industrie hatten wir immer optimale Untergründe und somit auch nie Probleme.
Zu unserer großen Erleichterung arbeiten unsere Mecanum-Räder auf nahezu allen auf der Bühne denkbaren Untergründe praktisch perfekt und besser als alles, was bis dato in diesem Bereich verfügbar war.
Ich führe dies einerseits auf den Quasi-Vierradantrieb und andererseits auf die panzerkettenartige Abrollsituation der Einzelrollen zurück.
Wir haben mittlerweile Erfahrungen mit verschiedenen Tanzteppichen, Bodentuch, Teppichboden, Fliesenböden, Betonknochenpflaster etc. Das geht alles sehr gut und zusätzlich sind auch Spalten und Absätze, wie sie auf Bühnen vorkommen, kein Problem. Die Grenzen sind hier so weit gesteckt, dass im Zweifelsfall zuerst die passiven Turtelrollen, die wir bei großen Konstruktionen mit einbauen an ihre Grenzen kommen.
Wie geht es weiter?
Wir spielen immer gerne mit neuen Ideen, drehen und wenden diese bis (hoffentlich) wieder etwas Schönes dabei herauskommt und bieten auch Workshops an. Das nächste Workshop findet am 24.11.2022 in Dresden statt. Interessenten können sich über folgenden Link anmelden: https://ventum-s.com/de/workshops-2/
Die neuen Schrägenadapter, die auf einer Idee des TJG Dresden aufsetzen und die ebenfalls neue Hebeeinrichtung, entwickelt durch Herrn Albrecht Löser, sind typische Beispiele hierfür.
Der Schrägenadapter erlaubt das stufenlose Herstellen von Bühnenschrägen und die Hebeeinrichtung löst einige Probleme der bisher verwendeten pneumatischen Hebesysteme.
Bei den Mecanumwagen gibt es neben dem bisherigen Modell, welches sich seit Jahren als „Arbeitstier“ im harten Einsatz bewährt hat, ab sofort den smarten Bruder, welchen wir MEC+ nennen und der nochmal ganz andere Möglichkeiten bietet, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten und auf diese zu reagieren.
Außerdem ist ein größeres und stärkeres Modell hinzugekommen. Dieses kann mehrere Tonnen tragen und schleppen und ist z. B. für den Antrieb von Hinter- oder Seiten-Bühnenwagen prädestiniert oder auch zum Verfahren der richtig großen Bühnenbilder. Wir nennen ihn intern BIG-MEC (wir können nicht anders, die Parallele ist einfach zu schön:)).
Offiziell heißt dieses Modell aber MEC Large.
Sie sehen schon, wir verfügen über einen ausgeprägten „Spieltrieb“ der immer mal in ein schönes neues Produkt oder in die Optimierung eines bestehenden Produktes mündet.
So macht uns das Spaß, so wollen wir das bei VENTUM-S beibehalten, umso mehr, wenn wir zu unseren Ideen positive Resonanz erhalten.
Ich wünsche dem Ventum-S Team viel Erfolg bei Ihrem Workshop am 24.11.22 in Dresden.